Donnerstag, 6. Oktober 2011

Sexy sein! - Start des Ewigkeits-Büros

Das erste Ewigkeits-Büro ist mit einer anregenden Debatte über Ziele und Möglichkeiten des Projektes auf hohem Niveau gestartet. Fragen nach den Absichten und Formen des avisierten Abends bestimmten die Diskussion, die ebenso dem Erfahrungsaustausch wie der programmtische Orientierung diente. Julia formulierte den Anspruch, die Zuschauer des Theaterabends soweit zum Nachdenken zu bewegen, dass sie  ihr Verhalten ändern, Philipp möchte das auf unterhaltsame Weise erreichen.



Ein Gast formulierte die Frage, ob es sich im Kern um eine Werbeveranstaltung für die STAWAG handele - natürlich nicht, aber der Öko-Strom Tarif der STAWAG ist, wir haben das geprüft, keine Mogelpackung und deshalb tatsächlich empfehlenswert. Öko-Strom sei aber inzwischen Mainstream, schloss der Gast an, die Frage sei, was das Theaterprojekt Neues könne.   Gefragt wurde, ob der Kampf gegen Plastik nicht ein eher periphäres Problem aufgreife und von den zwei wesentlichen Öko-Themen heute wegführe:  In der Umwelt-Debatte ginge es im Kern um 2 Pole, das sei zum einen die Effizienz-Debatte, also die technische Verbesserung der Energieausnutzung, zum anderen aber die Frage nach dem Lebensstil - und genau dort setzen wir an. Denn Klimawandel bedeutet Kulturwandel, jenseits von technischen Lösungen werden wir unsere Lebensweise ändern müssen, entweder jetzt freiwillig und handelnd oder in 30 Jahren gezwungenermaßen; in diesem Sinne ist das ureigenes Terrain des Theaters: Mit Mitteln der Kunst Erfahrungshorizonte schaffen, die über das hinausgehen, was wir gewohnt sind, für möglich zu halten.
Anke Stöppel und die beiden Mit-Initiatoren des Ewigkeitsbüros, Julia Brettschneider und Philipp Manuel Rothkopf
Foto: B. Scheuritzel 

Wenn jemand wirklich versucht, CO2-frei zu leben und dabei ausprobiert, nur noch Plastik-frei einzukaufen, seinen Kühlschrank abzustellen und auf Klopapier zu verzichten, geht das sehr viel weiter, als die meisten zu gehen bereit wären oder auch nur für sinnvoll erachten. Begreift man das als Spiel, eröffnet es aber Möglichkeiten: Ist es überhaupt möglich, es in Aachen zu tun? Meint man es ernst, muss man eine Veränderung des allgemeinen Verhaltens wollen – Julia führte dazu das Beispiel an, dass vor 30 Jahren die ersten Ökos auch als Freaks gesehen wurden, es Bio-Produkte inzwischen aber bei jedem Discounter gäbe.
Im Theaterprojekt geht es also auch um persönliche Beispiele als Vorbilder für Möglichkeitsräume, die Nachfolger beschreiten können.

Das wirtschaftswissenschaftliche Problem, dass Effizienzgewinne durch die damit verbundenen Kostensenkungen immer zu einem Mehrverbrauch von Ressourcen führt, ließe sich nur durch eine Aufgabe des Wachstumsparadigma erreichen – aber das wäre ein anderes Projekt, sich damit damit detailliert auseinanderzusetzen.
Die Frage nach der Umweltbilanz von Plastikflaschen wurde aufgegriffen und die bekannten Studien zitiert, nachdem vor allem wegen des höheren Transportgewichts Glasflaschen angeblich schlechter abschnitten; ich rate zur Skepsis hinsichtlich der Parameter, denn diese Studien stimmen nur, wenn das Wasser über viele hundert Kilometer transporiert wird, und man kann sehr in Frage stellen, ob das sein muss; unbestritten ist, dass Glasflaschen lokaler Brunnen deutlich besser abschneiden als PET-Flaschen globaler Anbieter. Zudem produziert eine durchschnittliche Familie beim Umstieg von Glasflaschen auf Disocounter-PETs 650 Liter mehr gepressten Müll pro Jahr und verdoppelt die damit verbundenen CO2-Emissionen (Quelle: Gerhard Pretting, Werner Boote:  Plastic Planet: die dunkle Seite der Kunststoffe, Orange-Press, 2010)
Für Julia hängt die Plastik-Frage auch mit persönlicher Autonomie zusammen: Ich habe gar nicht mehr die Wahl, auf Plastik zu verzichten, es ist überall. - Und unabhängig von CO2-Fragen und gesundheitlichen Auswirkungen halte ich die Frage trotzdem für sinnvoll, ob wir wirklich Tomaten in Schalen zum Verkauf anbieten müssen, die 800 Jahre lang halten, aber für den Käufer nur einem Zweck dienen: Weggeworfen zu werden. Wie bei Stuttgart 21 manifestiert sich hier dann immer noch an einem klaren und einfachen Symbol ein Unbehagen an einem Lebensstil, von dem wir wissen, dass er unsinnig ist.
Man kann die Sinnhaftigkeit des Unternehmens insgesamt mit demselben Argument in Frage stellen: Wenn Julia und Philipp (und vielleicht der ganze Theaterabend) es schaffen, die durch sie verursachten CO2-Emissionen gegen Null laufen zu lassen, wird das das Klima nicht retten; wenn RWE aber am Ziel festhält, trotz des Ausstiegs aus der Atomkraft am Ziel, die CO2-Emissionen um 30% zu senken, hat das Auswirkungen aufs Klima. Aber: Es geht um Möglichkeitsräume und die Übernahme persönlicher Verantwortung - angesichts der Ergebnisse unserer Umfrage (" Die Mehrheit der Befragten gibt an, dass die Mehrheit der Leute zu faul wäre, etwas gegen den Klimawandel zu tun") ist das dringend notwendig, außerdem ist es peinlich, wenn "die" Politik weiter ist als das Bürgertum. John Webster hat die Frage so formuliert: Was habe ich getan, als die Welt brannte. 

Ein Gast meinte, der Anteil der Öko-Affinen hätte sich zwar ausgeweitet, die Mehrheit seien sie aber noch nicht (die Ergebnisse unserer Umfrage beim Theaterfest widersprechen dieser Annahme, allerdings nur, was das kommunizierte Selbstbild angeht). Die Mehrheit sei wirtschaftsorientiert und würde den Öko-Strom sehr schnell abbestellen, sobald er deutlich mehr kosten würde als konventioneller Strom (70% der von uns Befragten beziehen KEINEN Öko-Strom, obwohl sie davon überzeugt sind, dass das Klima in naher Zukunft kippt und obwohl sie angeben, zu gravierenden Einschnitten in ihre Lebensweise bereit zu sein, um das zu verhindern. Als Grund geben sie an, sie fühlten sich zu wenig informiert, oder wohnten zur Miete und könnten deshalb nix tun - eine ausführliche Auswertung der Umfrage werden wir nächste Woche veröffentlichen). Daran schloss sich der Standard-Einwand an, ökologische Orientierung sei einfach zu teuer und könne z.B. auf Hartz-IV-Niveau nicht betrieben werden.
Wir versuchen gerade, das Gegenteil zu beweisen: Kolja wird diesen CO2-frei-auf-Hartz-IV-Niveau- Selbstversuch durchführen und darüber im Blog berichten. - Ich behaupte, ökologisch zu leben ist sogar billiger als konventionell (auf lange Sicht und gesamtwirtschaftlich gesehen sowieso, aber interessant wäre es doch, wenn es das auch individuell und jetzt sofort in Aachen wäre). Dafür sind Anke Stöppels Hinweise wichtig, die uns vom Mariahaus berichtete, wo man Bio-Lebensmittel zu Preisen bekommt, die konventionelle Ware beim Discounter deutlich unterbietet.  
Anke Stöppel warf außerdem ein, sie hätte ihren Klima-Selbstversuch durchgeführt, als sie finanziell auf Hartz-IV-Niveau gelebt hätte, und das sei gegangen, in dem sie z.B. Geld für Strom sparte und dafür für Nahrungsmittel übrig hatte.
Foto: B. Scheuritzel

Mit dem Hinweis, das erste CO2-freie Theaterprojekt der Welt zu machen, machen wir uns extrem angreifbar, meinte ein Gast – zumal das naturwissenschaftlich gesehen ein Mißverständnis sei, da gar nicht möglich, es sei denn, man würde alle Emissionen, also auch die Atemluft, auffangen (das haben wir versucht, beim „Nimm CO2“-Abend). – Der Einwand ist sehr berechtigt, aber: Es als Forderung zu behaupten, erhöht den Druck auf alle Beteiligten, es tatsächlich zu versuchen; vielleicht (und sogar wahrscheinlich) scheitern wir daran – aber immerhin gehen im Moment eine Menge Anstrengungen in die Richtung, und besser scheitern, als es gar nicht zu versuchen.
Daniela Neubauer, die Regisseurin des Projektes und   Mit-Initiatorin des Ewigkeitsbüros
Foto: B. Scheuritzel  

Die religiöse Dimension des Projektes wurde angesprochen, der Wunsch nach einem Zurück zu einem imaginierten Naturzustand von einem Gast gefordert, verbunden mit dem Wunsch, ein Gleichgewicht der Natur wieder herzustellen. Nun kann man Natur ebensogut als hochdynamisches System verstehen, das alles Mögliche herstellt, aber eher kein Gleichgewicht, und trotzdem der Meinung sein, dass der inzwischen fast 150jährige Versuch, möglichst viel CO2 in die Luft zu blasen und dann mal zu schauen, was passiert, sich tatsächlich einem tipping point nähert und damit fast abgeschlossen ist.

Abschließend hat ein Gast gewünscht, das Thema möge sinnlich und humorvoll dargestellt werden, weil Öko häufig unsexy daherkomme, es aber sexy sein müsse, um für die Masse interessant zu werden, und es im Theater aber darum gehe, für den Zuschauer interessant zu sein.

„Seid sexy!“, war die Bitte. Das sind wir. Klima ist cool.


1 Kommentar:

  1. Markus Haase hat auf Facebook dazu angemerkt: "Natürlich ist es (der Öko-Strom der STAWAG) eine Mogelpackung, oder bietet die STAWAG ausschließlich grünen Strom?! Nein, tut sie nicht. Sie will damit - wie alle anderen Stadtwerke auch die das so anbieten - Kunden behalten, die mit einem Wechsel zu einem "echten" Ökostrom Anbieter liebäugeln. Und davon gibt es in Deutschland derzeit nur vier. Aber interessantes Experiment...
    (...) Mit den Stadtwerken und dem grünen Strom ist es wie mit den Discountern und der Bioware: Die Unternehmen bieten es nicht an, weil sie von eimem Mehrwert überzeugt wären, sondern weil es seitens der Kunden eine Nachfrage danach gibt."

    Vergleiche dazu Merlins Artikel über Ökostrom, die STAWAG und das o.k.-power-label: http://einjahrfuerdieewigkeit.blogspot.com/2011/09/stawag-okostrom-ok-power-okotrom-siegel.html

    Die vier bundesweiten Anbieter, von denen Markus spricht, sind die Elektrizitätswerke Schönau, Greenpeace Energy, Lichtblick und Naturstrom
    Mehr dazu hier: http://www.klimaretter.info/index.php?option=com_content&view=article&id=56&Itemid=160

    AntwortenLöschen